Joseph Görres: Die christliche Mystik

Erstes Buch: Die aufsteigende Mystik

IV. Die Ekstase

6. Die bewegte Ekstase

c) Das ekstatische Schweben

Wird die Bindung, die den schweren Körper an die schwere Erde fesselt, durch die innere Begeistigung noch mehr aufgehoben, dann bedarf es ihres Widerstandes nicht länger mehr, um sich im Gleichgewichte aufrechtzuerhalten; auch ein anderes Element, das Wasser zunächst, ist hinreichend, ihn zu tragen. So schließt sich dem ekstatisch gelösten Wandeln über die Erde hin als nächstverwandte Erscheinung das Wandeln über die Wasser an. Es fehlt in der Geschichte der Heiligen und Mystischen nicht an Beispielen eines solchen Wandelns.

Der hl. Peter von Alcantara kam einst auf seinen Wanderungen ans Ufer der angeschwollen Guadiana und fand kein Schiff, das ihn überführe. Er wendete sofort die Augen gen Himmel, bezeichnete sich voll lebendigen Glaubens mit dem Zeichen des Kreuzes und sprach dann zum Genossen: Mein Sohn, habe festes Vertrauen auf Gott, hebe dein Gewand ein wenig auf und folge mir! Sie setzten nun in die Fluten und gingen hinüber, das Wasser reichte ihnen nur bis an die Knöchel. Ein andermal ging er durch Alcantara nach Pedroso, kam, vor sich hingehend, von seinem Gefährten ab und erreichte zuletzt, in das Lesen eines frommen Buches vertieft, die Ufer eines sehr bedeutenden Flusses, den die Flüsse Aladon und Mareta miteinander bilden. Er aber, immer mit seinem Gegenstand beschäftigt, bemerkte gar nicht die Gewalt, mit der die Wässer, vom Regen angeschwollen, vor ihm strömten, und setzte unbekümmert seinen Weg über den wilden Strom wie auf festem Boden fort. Umsonst hatten die, welche am Ufer der weggetriebenen Barke warteten, ihn mit lautem Schreien angerufen, als sie ihn dem Strome nahen sahen, er hatte nichts vernommen; wie er aber am andern Ufer angekommen, warfen die, welche ihm von jenseits zugesehen, sich ihm sogleich zu Füßen und verehrten ihn als einen Heiligen mit Tränen. Er kam darüber wieder zu sich, wurde verwundert und verwirrt, kehrte, als er von ihnen erfahren, was sich begeben, sich um, sah nun das Wasser und seinen Gefährten jenseits und warf sich bei diesem Anblick sogleich zur Erde, um Gott zu danken. Nochmal, als er von Truxillo nach La Viciosa sich verfügte, ging er, statt auf einem Umwege von sechs Meilen die Brücke von Jaraiceo zu suchen, über den regengeschwollenen Strom Almonte; das Wasser war ihm, wie er bei seiner Heimkunft den Vätern erzählte, nicht bis an die Knie gegangen. Sie fanden es am andern Tage wohl noch einer Picke hoch in seinen Ufern gehen. Endlich war er auch einst in dunkler Nacht an den Tajo gekommen, und als er jenseits ein wundersames Licht erblickt, war er sogleich darauf zugegangen. Die Klarheit schien ihn zu blenden, so daß seine Sinne sich gebunden fanden und er den Fluß nicht sah noch auch das Schlagen der Wellen hörte und wie auf festem Lande fortging. Jenseits angelangt, gewahrte er das Haus des Fährmanns, und wähnend, er sei noch jenseits, klopfte er bei ihm an und bat, daß er ihn überfahre, weil er nach Algarabelles müsse. Der Fährmann hielt ihn für irreredend und beredete ihn zuletzt, daß er warte, bis der Tag gegraut, wo er dem Verwunderten dann den Strom zeigte, über den er gegangen.(*)

Derselbe Heilige, wenn er - schon in früher Jugend, in seinem achtzehnten Jahre - auf den Termin ging und zur Zeit des Offiziums nach Ablegung seines Zwerchsackes auf der Landstraße niederkniete, weil er den Menschen sich fern glaubte, Gott sein Herz öffnete und der Betrachtung himmlischer Dinge sich ergab, wurde alsdann schnell verzuckt und erhoben. Wenn nun Reisende des Weges kamen, blieben sie voll Erstaunen stehen, wenn sie den armen Bruder mehrere Fuß über der Erde schwebend erblickten, und warteten, bis er wieder zu sich gekommen, um seinen Segen zu erlangen. Er aber, so wie er die Harrenden gewahrte, nahm eilig den Sack wieder auf den Rücken, und verwirrt und zornig über sich selbst, daß die Welt ihn also gesehen, nahm er sogleich die Flucht, und nur das Zilizium konnte dann seinen Eifer mäßigen und ihn in seinem eiligen Laufe hemmen. Wenn er Messe las, war es besonders wunderbar, im Ablaufe derselben ihn vor dem Tabernakel zu sehen, das Antlitz ganz in Flammen, der Körper unbeweglich und so aufmerksam, daß er mit leiblichen Augen das verborgene Mysterium zu schauen schien. Beim Lesen des Evangeliums, wenn er zu den Worten kam: Jesus sprach, Jesus sagte, wandelte neue Inbrunst ihn an; wenn er den Kanon anfing, stieg diese zu solcher Höhe, daß sein Gesicht ganz in Feuer stand; je näher der Konsekration, um so mehr wurde sein Herz bewegt, so daß er zuletzt in voller Gebundenheit der Sinne die heilige Handlung zu unterbrechen genötigt war. Nach der Konsekration wurde er, was er auch tun mochte, um die Heftigkeit der inneren Bewegung zu mäßigen, doch oft von ihr hingerissen, der Sinne beraubt und erhob sich dann schwebend am Altare, meist in der Höhe einiger Ellen über dem Boden. So unter andern einmal, als ihn die Bernhardinerinnen in Avila gebeten, die Messe bei ihnen zu lesen; durch die heftige Entflammung seines ganz in Gott vertieften Geistes wurde er während derselben hoch erhoben. Er blieb drei Stunden in diesem Zustand, kam dann wieder zu sich und setzte nun mit gleicher Inbrunst die Messe fort unter häufigen Tränen der Nonnen, denen er dann mit einiger Bestürzung zuredete, Gott zu danken, daß er so erstaunliche Erfolge seiner Güte an einem so Unwürdigen kundmache. Im Chore war er gewöhnlich Gott so verbunden, daß sein Künstler sich fünfzehn Ellen hoch bis zu den Gewölben erhob. Die Erschauung des Sternenhimmels brachte ihn oft zu den tiefsten Betrachtungen, so auch der Pflanzen und Kräuter. Wenn, wie es mitunter geschah, Tau und Regen auf seinem nackten Haupte beim nächtlichen Gebete gefroren, ohne daß er es gewahr wurde, dann sahen ihn die Brüder in diesem Zustande oft zwölf Ellen hoch schwebend, in Gott verschlungen. In einer Ermahnung, die er einst den Brüdern machte, begann er unter anderm: Gott hat sich inkarniert!, vertiefte er sich nun in das Geheimnis, erhob dann nach einiger Zeit wieder die Stimme in einem unvergleichlichen Affekte: Gott hat sich bekleidet mit unserem Fleische! Mit dem letzten Worte tat er einen Schrei, der ausging wie eines Donners Schlag, und dann, getrieben durch die Gewalt der inneren Bewegung, die ihn ergriffen, eilte er zu seiner Zelle, wo seine Seele, unfähig zu widerstehen, in eine dreistündige Entrückung fiel. Derselbe Schrei hatte noch vielmal die gleiche Folge, besonders wenn er die Mysterien des Glaubens betrachtete.

* La vie de S. PIERRE d'ALCANTARA, Lyon 1670. p. 79. 105. 130. 131. - Es ist die Biogr. vo. Marchese, Rom 1667. As (19.) Oct. VIII 623 ss. Das Wunder steht auch in der Kanonisationsbulle, As 702 no 8. Die mirakulösen Flußüberschreitungen erscheinen in diesem Leben häufig: As 658 no 9; 678 no 95 s.; 702 no 8; 719 no 99; 724 no 117 s,; 737 no 151. Interessante Bilocation 728.

 

Aus Joseph von Görres: Mystik, Magie und Dämonie. 'Die christliche Mystik' in Auswahl, herausgegeben von Joseph Bernhart. München und Berlin: R. Oldenbourg 1927.